Warum die klassische Unternehmensberatung tot ist
Unternehmensberatungen erzählen ihren Kunden gern etwas von "Change". Doch der Ansatz der Consultants hat sich in Zeiten der digitalen Transformation nicht grundlegend verändert. Das könnte der Branche zum Verhängnis werden. Denn klassische Consulting-Unternehmen mögen die Vogelperspektive und fliegen bevorzugt über das CEO-Büro ein. Das mag bei klassischen Top-Down-Prozessen sinnvoll sein, aber in der digitalen Wirtschaft funktioniert es genau andersherum: Innovationen erfolgen Bottom Up. Unser Geschäftsführer Stefan Dangel schildert, wie Beratungen in Unternehmen im digitalen Zeitalter eine neue Perspektive finden.
Die digitale Transformation in der Wirtschaft ist für die Consulting-Branche in etwa das, was Cristiano Ronaldo für Juventus Turin ist: ein Geschenk der Götter. Mit einem Unterschied: Der Superstar muss erst noch zeigen, dass er sein Geld wert ist, die Beraterzunft ist schon kräftig dabei, das neue Trendthema zu kapitalisieren. Allein die auf IT-Dienstleistungen spezialisierten Beratungen legen um zwölf Prozent in diesem Jahr zu. Wesentlicher Treiber ist dabei die durch die Digitalisierung entstehenden Umwälzungen in Unternehmen.
Etwas daran ist paradox: Mantrahaft erzählen Consultants, dass Unternehmen und damit die Mitarbeiter sich grundlegend verändern müssen: neue Skills, neue Prozesse, neue Produkte, neue Arbeitsmodelle und natürlich – als sichtbares Zeichen – neue lockere Dienstkleidung. Nur fragt man sich bisweilen unweigerlich, inwieweit dieser vielbeschworene Change auch in den klassischen Unternehmensberatungen Einzug gehalten hat. Denn der ist dringend notwendig – und das aus vier Gründen:
- Beratung in Unternehmen braucht im digitalen Zeitalter eine völlig andere Perspektive.
- Beratung braucht eine völlig neue Ausbildung.
- Beratung braucht andere Skills.
- Beratung braucht ein anderes Auftreten.
Beratung in Unternehmen erfordert im digitalen Zeitalter eine neue Perspektive. Klassische Consulting-Unternehmen mögen die Vogelperspektive und fliegen bevorzugt über das CEO-Büro ein. Das mag bei klassischen Top-Down-Prozessen sinnvoll sein – also immer dann, wenn Produktentscheidungen von oben vorgegeben werden. Doch in der digitalen Wirtschaft funktioniert es genau andersherum: Innovationen erfolgen Bottom Up – in viel kürzeren Produktzyklen und im direkten Austausch mit dem Markt. Vorreiter hierfür ist die Software Branche, die über ihr A/B-Testing ja quasi in der Live-Entwicklung das Feedback der User abholt. Doch eine solche Systematik hält in allen Branchen Einzug. Wer beraten will, muss seinen Fokus sehr schnell auf die Basis legen; also wie leistungsstark und effizient sind die Einheiten, die nah am Kunden neue Produkte entwickeln?
Beratung benötigt eine völlig neue Ausbildung. Zugegeben: Die typischen BWLer sind in den Unternehmensberatungen etwas weniger geworden, doch sie stellen immer noch den größten Anteil. Für die Betrachtung und Analyse der betrieblichen Kennziffern mag der Studiengang sinnvoll sein, für eine Beurteilung der digitalen Leistungsfähigkeit eines Unternehmens nicht unbedingt. Inwieweit die digitale Transformation gelingt, entscheidet sich wesentlich auch über die vorhandene Dateninfrastruktur im Unternehmen. Doch die zu beurteilen – das setzt in der Regel profunde IT-Kenntnisse voraus.
Beratung braucht andere Skills. Agilität ist aktuell das Zauberwort im Management. Dahinter steht der Wunsch, mit neuen Prozessen ein schnelleres Tempo im Unternehmen zu erlangen. Scrum, Kanban, Design Thinking heißen die entsprechenden Methoden. Doch die setzen ein völlig neues Rollenverständnis voraus – klassische Projektmanager sind hier etwa gar nicht vorgesehen, stattdessen gibt es Product Owner, Scrum Master und interdisziplinäre Teams. Das Zusammenspiel ist ein völlig anderes als bei den herkömmlichen Wasserfallprozessen. Wer beurteilen will, ob der Workflow stimmt, muss also wissen, wie agiles Management wirklich funktioniert – nicht in der Theorie, sondern ganz hands on in der Praxis.
Beratung bedarf eines anderen Auftretens. Das größte Hindernis bei der digitalen Transformation ist häufig die IT. Paradox? Keineswegs. Digitale Transformation – das heißt eben auch immer Veränderung und dann mehr Effizienz und damit Kostenersparnis. Das betrifft natürlich ganz besonders die IT. Wer hier überzeugen will, muss die gleiche Sprache sprechen. Doch das wiederum erfordert eine enorme Kompetenz in Sachen Software und Data. Nur das schafft die Basis, um mit den Kollegen aus der IT wirklich – wie man so schön sagt – auf Augenhöhe argumentieren zu können und sie motiviert auf die Reise in die Zukunft mitnehmen zu können.
Unterm Strich heißt das: Beratung wird künftig deutlich hemdsärmeliger und bodenständiger. Natürlich bleibt Strategie das A und O, um die Rahmendaten festzuzurren. Doch der entscheidende Wettbewerbsfaktor im digitalen Zeitalter ist Geschwindigkeit. Die eine Sache ist die anzuordnen, die andere, das Tempo auch durchzuhalten. Dafür müssen die operativen Einheiten fit gemacht bzw. trainiert werden. Nur mit dem Blick von oben wird das nicht gelingen. Mag sein, dass klassische Unternehmensberatungen mit ihrem Kurs noch gut fahren, doch Erfolg blendet eben oft auch Strukturdefizite aus – ähnlich wie Jogi Löws Truppe dieses Jahr in Russland bei der Fußball-WM.
Dieser Beitrag ist ebenfalls in der HORIZONT am 4. Oktober 2018 erschienen.